abseitiges

2012/01/25

Ein Weckruf für Ägyptens Kunst



Ein Jahr ist vergangen, seit die Revolution die ägyptische Kunstszene auf den Kopf gestellt hat. Eine kreative Welle überschwemmte Kairo nach dem 25. Januar 2011. In der Stadt gab es keine Galerie, keine Theatercompagnie, die nicht die Bilder der Revolution zeigte. Zurecht stellen sich Künstler und Galeristen nach einem Jahr die Frage, was bleiben – und erlaubt bleiben wird.
von Ann-Kathrin Seidel
„Ich bin eine Artivistin“, sagt Dalia Basiouny, lacht und schüttelt ihre schwarzen Locken. Wochenlang, erzählt die Theaterregisseurin, sei sie mit ihrer Videokamera durch Kairo gezogen und habe die Geschichten der Menschen aufgezeichnet. Sie wollte alles festhalten, die Wunder einfangen, die in den Tagen nach dem 25. Januar vor ihren Augen geschehen waren. Wunder, wie diese Begegnung mit einem jungen Demonstranten, der sie von den Zusammenstößen mit der Armee wegdrängte und sagte: „Du bist gebildet, stell dich nach hinten, denn dich braucht Ägypten später noch. Lass mich noch vorne gehen.“

„Ich habe in der Zeit so gut wie nie geschlafen“, fährt Basiouny fort; in ihren Augen funkelt es. Die Stadt, die sie als grau und lähmend kannte, verwandelte sich innerhalb von Tagen in eine lebendige Leinwand. Kaum ein Laternenpfahl, der nicht rot, weiß, schwarz gestrichen war. Dazwischen gepinselte Sprüche, Graffiti, Stencils bis hin zu kaligraphischen Meisterwerken. „Es war eine Explosion künstlerischen Ausdrucks. So viele Menschen hatten ihre Stimme wiedergefunden und wollten sich ausdrücken“, sagt Basiouny.
Die Theaterszene war so gut wie tot
Wie Basiouny geht es vielen Künstlern. Ein Jahr ist es her, als die Revolution sie aus einer Art Dauerdämmerschlaf reißt. Die Theaterszene, sagt Basiouny, war 2010 so gut wie tot. Keine einzige Uraufführung hatte es gegeben, nur Adaptionen. Aber auch als die Proteste anrollen, bleiben diejenigen, die sich mit ihren Werken mehr oder weniger versteckt stets gegen das Regime gestellt haben, erst einmal zu Hause.
„Ich bin erst am 4. Februar das erste Mal auf dem Tahrir-Platz gewesen“, sagt Maler und Videokünstler Khaled Hafez. Seit 2008 öffnet Hafez jeden Freitag sein Atelier für Nachwuchskünstler. Man trifft sich, um über Stile, Techniken und Motive zu reden – und über Politik. An eine echte Revolution kann er dennoch nicht glauben. „Meine Generation hat immer kritisiert und verurteilt, aber niemals Blut vergossen. In meiner Welt führten Demonstrationen zu nichts“, wagt Hafez einen Erklärungsversuch.
Khaled Hafez
Es ist der 28. Januar, der alles verändert. An diesem Tag wird der Sound- und Installationskünstler Ahmed Basiony auf dem Tahrir-Platz von Heckenschützen angeschossen und anschließend von einem Polizeiauto überfahren. Er will dort filmen, wo sich keine Kamerateams mehr hinwagten, um Beweise zu schaffen. Wenig später werden die Handynetze gekappt, das Internet lahmgelegt, erinnert sich Hafez. „Als alles wieder funktionierte und wir Ahmed nicht finden konnten, wusste ich, dass etwas passiert ist.“
„Ich bin in die Falle getappt“
Für Hafez beginnt wie für Basiony eine atemlose Zeit. Er filmt, fotografiert, er diskutiert und demonstriert. Er will dieses neue Ägypten aufsaugen, erfassen – und zeigen. Bereits Ende Februar eröffnen die ersten Revolutionsausstellungen in der Stadt. Junge Künstler, neue Ausdrucksformen, deutliche politische Botschaften, all das ist neu in Kairos Kunstszene. Bereits seit Ende der neunziger Jahre war einiges in Bewegung gekommen. Unabhängige Galerien eröffneten, Kunstfestivals ins Leben gerufen. Aber so eine sprunghafte Entwicklung, stellte alles auf den Kopf.
„Ich bin in die Falle getappt, zu schnell etwas schaffen zu wollen“, sagt Hafez über seine Werke, die damals entstanden – darunter „The Video Diaries“, eine Videokollage aus Medienbildern und eigenen Filmschnipseln. „Es war reaktionäre Kunst. Etwas passiert, und der Künstler schafft etwas dazu. Selten sind diese Werke stark genug, um zu überdauern.“ Auch Theaterregisseurin Basiouny beobachtet, wie in der Stadt neue Compagnien entstehen, neues Blut in die Szene strömt. Sie selbst trägt in „Tahrir Stories“ die von ihr aufgezeichneten Geschichten der Revolution vor, liest Namen von Märtyrern. Aber das dokumentarische Moment dieser Werke macht sie irgendwann zu einer einzigen Wiederholung „Bereits im Juni dachte ich bei neuen Stücken: ‚Nicht schon wieder etwas über die Revolution‘“, sagt Basiouny.
„Gerade die Tabus haben es so spannend gemacht“
Der internationale Kunstmarkt hingegen ist begeistert. Das Image der arabischen Kunst hat sich mit der Revolution gewandelt: weg von verschlafener Ornamentik, hin zur Auseinandersetzung mit der Gegenwart. Der Aufstieg der Kunstmesse „Art Dubai“ zum zentralen Umschlagplatz und diverse europäische Ausstellungen sind der Beweis. „50 Prozent unserer Kunden kommen aus dem Ausland“, sagt Mona Saïd, Leiterin der bekannten Safarkhan-Galerie. Schon im März zeigt Saïd die Fotoausstellung „To Egypt with Love“, deren Werke Saïd viermal mehr verkauft als erwartet. „Ich beobachte aufmerksam, was der Nachwuchs, der mit Graffiti, digitalem Design und Malerei auf den Markt drängt, zu bieten hat“, sagt sie.
Viele etablierte Künstler hingegen hätten es schwer, ihren Weg zurück zum eigenen Schaffen zu finden, sagt Saïd. Sie ringen um einen authentischen Ausdruck des Erlebten, suchen nach einer neuen Sprache. Denn die Symbole, mit denen sie unter Mubarak gearbeitet haben, sind von der Revolution überholt oder entleert worden. „Gerade die Tabus haben es doch so spannend gemacht“, sagt Saïd. „Aber nun müssen die Künstler dem Ausdruck geben, was die Revolution mit der ägyptischen Identität gemacht hat.“
Aber was ist das genau? Seit November wird das Erstarken der islamistischen Kräfte immer deutlicher und die Rolle der Militärregierung immer undurchsichtiger. Künstler warnen vor einer Neuauflage der Unterdrückung ähnlich der Mubarak-Zeit. Fünf Kulturminister hat das Land im vergangenen Jahr kommen und gehen sehen. Die Zensurbehörde setzt ihre Arbeit unverändert fort, prüft Theaterstücke und Filme vor deren Erscheinen. „Ägypten betritt möglicherweise eine dunkle Zeit“, prophezeite unlängst Schriftsteller Gamal El-Ghitani.
„Die Unterdrückung der Frau
– eine Orientalisierung durch den Westen“
„Zensur existiert“, sagt Künstlerin Nermine Hammam. „Eine neue Art von Zensur, die mehr religiös als politisch ist.“ Gerade hat Hammam eine Reihe von Frauenikonen fertig gestellt, die sie ab März in Frankfurt zeigen will – alle, bis auf eine. In diesem Bild verwendet die Künstlerin eine Sure aus dem Koran, die von Ende der Zeit spricht. Hinter dem Frauenkörper liegt ein Gewehr. „Ich werde dieses Bild nicht zeigen können. Nicht hier, aber auch nirgendwo anders. Dafür ist die Welt zu klein“, sagt Hammam.
Hammam ist eine von vielen jungen Künstlerinnen, die in der Kunstszene von sich reden machen. „Die Idee, dass Frauen unterdrückt werden, sehe ich als Orientalisierung durch den Westen“, sagt Hammam. Frauen seien oft viel freier in ihrem Ausdruck, vor allem, wenn es um eins der größten Tabus in der arabischen Kunst geht: Nacktheit. „Männer können keine nackten Frauen oder gar nackte Männer zeigen. Das würde sofort auf sie zurückfallen.“
Marwa Adel
Eine Künstlerin, die die Grenzen des Verbotenen austestet, ist die 28-jährige Marwa Adel. Auf ihren Fotografien zeigt sie zaghafte Nacktheit, oft nachträglich verhüllt in Ornamente oder Schatten. „Der Körper ist nicht nur Sex, er ist viel mehr“, sagt Adel. Ihre Fotografien geben ihr die Möglichkeit, ihrem engen gesellschaftlichen Korsett zu entkommen. Seit dem 14. Lebensjahr, ihre halbes Leben lang, trägt sie den Hijab, das einfache Kopftuch, das das Gesicht frei lässt. „Heute weiß ich, dass es zu früh war“, sagt sie. „Während der Revolution haben mich viele gefragt, warum ich ihn nicht abnehme, aber der gesellschaftliche Druck ist einfach zu groß.“
Es sind noch ein paar Tage, dann werden viele der Kairoer Künstler wieder auf den Tahrir-Platz gehen. Am 25. Januar, wenn die Revolution sich zum ersten Mal jährt. Ihre Kamera wird Theaterregisseurin Basiouny zu Hause lassen. Nach der wieder aufflammenden Gewalt der letzten Monate ist sie – wie viele andere – enttäuscht. „Ich habe das Gefühl, dass viele Menschen wieder schlafen, wie bisher“, sagt Basiouny.

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