abseitiges

2011/07/31

Ein Haus für Tutanchamuns Campingbett

Die Tage des Ägyptischen Museums am Tahrir-Platz sind gezählt. Gegenüber der Cheopspyramide am Rande Kairos entsteht das 550 Millionen Euro teure Grand Egyptian Museum.



Die Augen des Pharaos liegen in der Petrischale und blicken in die Linse des Mikroskops. Ein vorsichtig geführter Q-Tip befreit sie vom Dreck der letzten Jahrtausende, legt die bronzenen Lider frei, die Bindehaut aus Elfenbein, die Iris aus Quarzit. Die Augen gehören in eine goldene Maske, und diese wiederum ist eins von 11000 altägyptischen Kunstwerken, die derzeit am Fuße der Pyramiden von Giza aufgearbeitet werden.

Vor der Cheopspyramide weht ein heißer Wind. Kamele dösen in der Hitze, ihre Besitzer umringen die wenigen Touristen, die derzeit das Weltwunder besuchen. Am Rande des Plateaus beginnen die Ausläufer einer riesigen Baustelle. Hier entsteht derzeit auf einem Gelände von fast 500000 Quadratmetern ein gigantisches Museumsprojekt. Das Grand Egyptian Museum soll im März 2015 eröffnet werden – „inshallah“, mit Gottes Hilfe, wie die Ägypter stets hinzufügen. Denn nach dem politischen Umsturz im Januar stehen viele Großprojekte Ägyptens vor einer unsicheren Zukunft.

Around Tahrir

2011/07/28

"Mit Facebock und Twitter erreichen wir nicht die, auf die es ankommt"

Interview mit Ihab Hassan, 24 Jahre alt, Journalist und Autor des Transit-Blogs des Goethe-Insituts Kairo

F: In Ägypten demonstrieren so viele Menschen wie seit dem Frühjahr nicht mehr. Viel Blogger in der arabischen Welt warten schon länger auf eine zweite Revolution. Hat sie nun begonnen?
A: Es ist keine zweite Revolution, nur einer zweite Welle. Der Druck auf die Militärregierung wird weiter hoch gehalten. Wir bekommen keine Demokratie, wenn wir zuhause bleiben.

F: Nach dem 25. Januar hat die ägyptische Revolution nun einen zweiten symbolischen Tag, den 8. Juli, an dem landesweit Millionen friedlich auf die Straße gingen. Wie hat sich die Bewegung zwischen diesen beiden Tagen verändert?
A: Es sind etwa 300 Bewegungen und 50 Parteien entstanden, Zeitungen wurden gegründet und Koalitionen geschmiedet. Der Stellenwert der Leute auf der Straße gegenüber der Politik hat zugenommen. Das sieht man schon daran, dass die Revolutionäre Jugendkoalition auf einer Pressekonferenz auch Ministerpräsident Sharaf zu der Demonstration eingeladen hat.

F: Dabei war gerade in den letzten Wochen die Kritik an den Demonstranten immer stärker geworden. Es hieß, sie seien nur auf Krawalle aus, es gäbe kein Ansprechpartner.
A: Die vielen Bewegungen haben sich in den letzten Wochen zerstritten über politische Details – allen voran über die Frage, ob es zuerst eine neue Verfassung oder Wahlen geben soll. Ging man auf den Tahrir-Platz, hörte man an jeder Ecke eine andere Meinung. Die neuen Demonstrationen stehen unter dem neuen Slogan „Revolution zuerst“ und hat die menschen wieder zusammen gebracht. Der 8. Juli hat die Bewegung vielleicht gerettet.

F: Viele Forderungen der Demonstranten betreffen die Militärregierung und den Polizeiapparat. Habt ihr keine Angst vor den Konsequenzen?
A: Es ist auffällig, wie frei die Menschen nun die Regierung und die Militärgerichte kritisieren. Vor ein paar Wochen war das noch anders. Viele junge Leute sind im Mai und Juni festgenommen worden. Das Militär war ein schwieriges Thema, eine rote Linie, über die man nicht übertreten durfte. Auch ich habe es auf meinem Blog nicht direkt angegriffen.

F: Wie organisiert ihr Demonstranten und Blogger euch?
A: Unser wichtigstes Instrument ist Twitter. Es gibt einige bekannte Aktivisten, deren Nachrichten bis zu 80000 Menschen verfolgen. Wir haben schon zwei Tage organisiert, an denen sich Blogger kritisch mit den Militärgerichten und der Militärregierung befasst haben. Aber insgesamt steckt der Journalismus hier noch in den Kinderschuhen. Die Trennung von Nachricht und Meinung war kaum bekannt vor der Revolution.

F: Lange sah es so aus, als würden Islamisten versuchen, die Revolution zu kapern. Nun aber haben sie sich zurückgezogen. Wie kommt es dazu?
A: Erst am Dienstag wurde Sheich Safwat Hegazy, ein führender Hetzprediger der Muslimbrüder, vom Tahrir-Platz verwiesen, weil sich die Partei der Muslimbrüder schon länger gegen die Revolution stellt. Ihr einziges Ziel ist, viele Stimmen bei den Wahlen im September zu holen. Dazu stellen sie sich mit der Militärregierung gut, ebenso wie sie es vorher mit den Demonstranten getan haben.

F: Gerade am Einfluss der Islamisten zeigt sich, wie weit der Weg zu einer Demokratie für Ägypten noch ist. Wie will sich die Facebook-Generation einbringen?
A: Schon in diesem Namen liegt das Problem. Wir müssen erkennen, dass wir mit Facebook und Twitter nicht die erreichen werden, auf die es ankommt. Die Demonstranten aber auch die Regierung haben bisher die armen und ungebildeten Ägypter außer Acht gelassen, die nichts von Demokratie verstehen.

2011/07/18

Kakophonie Kairo

Kein Ort in Ägypten verbindet Alt und Neu wie der Tahrir-Platz. Rund um den Platz erzählen Menschen von ihrem Weg ins neue Ägypten. Ein Blick in den Mikrokosmos aus Graffiti, Gartenschläuchen und einer neuen Zeitrechnung.

Es ist nicht leicht, sich in Ihabs Windschatten zu halten. Aber es ist sicherer, denn der 24-jährige Journalist läuft stets auf der Straße, auf dem schmalen Streifen zwischen parkenden und vorbei bretternden Autos. Fußgängerweg? „Da bin ich vor der Revolution gelaufen. Das machen jetzt alle so“, sagt er. Aha. Wir sind am Tahrir-Platz angelangt. Die Sonne ist untergegangen, die Hitze des Tages abgeklungen. Auf dem berühmt gewordenen Rondell im Zentrum des Kreisverkehrs sitzen Menschen, essen, reden, treffen Freunde.

An keinem anderen Ort verknüpfen sich die Fäden von Altem und Neuem in Ägypten wie auf dem Tahrir-Platz mit dem ehrwürdigen ägyptischen Museum auf der einen, dem in Grafitti gekleideten Verwaltungsgebäude Mugamma auf der anderen Seite. Am Geländer um den Platz flattern ägyptische Fahnen im Wind – nicht zum Schwenken, zum Verkauf. „The day we changed Egypt, 25. Januar“ und „Tahrir, Freedom, Facebook“ sind auf die T-Shirts darunter gedruckt. Dazu gibt es Pins, Anhänger und Fotokalender – die Revolution ist längst zum kommerziellen Ereignis geworden.

„Platz der Märtyrer“ – ein buntes Graffito prangt am nördlichen Eingang des Platzes. „Graffiti sind etwas Neues für uns Ägypter. Das kannten wir vor der Revolution nicht“, erklärt Ihab. Auf der Rückseite der Mugamma finden sich noch mehr, meistens Schriftzüge, aber auch Stencils, die durch Schablonen gesprüht werden. „Ich zerstöre mein Land nicht“, steht auf dem einen, daneben ist eine Faust gesprüht, die einen Panzer durchschlägt.

Jeder in Kairo will seine Geschichte erzählen, jeder will gehört werden. Die persönlichen Versionen der „Thaura“, der Revolution, schwirren durch die Stadt wie das ständige Hupen, der ewige Baulärm. Die Thaura ist die neue Stimme in der Kakophonie Kairo.

Schwester Mathilde erzählt von ihrem Glauben an die Ägypter. „Wir saßen beim Abendessen als es losging. Mit einem Gartenschlauch haben wir die Brände vor unserer Tür gelöscht“, die Leiterin des Konvents der Borromäerinnen, die seit 1884 deutsche Schulen in Ägypten führen. Ihre Schule liegt in einer Seitenstraße des Tahrir-Platzes, unweit des ehemaligen Innenministeriums. Während der 18 Tage der Proteste hatten sich die fünf Konventschwestern auf dem Schulgelände verschanzt.

Erst am 11. Februar, als Mubarak endlich ging, wagte sich Schwester Mathilde zusammen mit einem der Nachwächter in Richtung Tahrir-Platz – und beobachtete erstaunt, wie die Kairoer Ordnung schufen. „Auf den Kreuzungen standen Laien mit Stöcken und regelten den Verkehr.“

Seit der Revolution erobern die Menschen ihre Stadt neu. Sie pflanzen Bäume und Blumen. Kinder sammeln Geld und streichen die Laternenpfahle in den Nationalfarben. Menschen reinigen die Straße vom Müll. In Gesprächen benutzen sie Zeitangaben wie „in der ersten Woche“ und „im ersten Monat“ und meinen damit die Zeit ab dem 25. Januar. Es ist, als hätte eine neue Zeitrechnung begonnen.

Und sie lernen mit ihrer Freiheit umzugehen. „Eine Mutter hat angefragt, ob ihr Kind nun doch versetzt werden könnte – nun, nach der Revolution“, erzählt Walter Ritter, Schulleiter der deutschen Schule. Das sind die lustigeren Bespiele. Die ernsteren äußern sich im Aufkeimen islamistischer Kräfte, allem voran den Salafisten. Vor einigen Wochen kündigten sie an, jedes Mädchen zu schlagen, das kein Kopftuch trüge. Viele der Schülerinnen blieben darauf dem Unterricht fern. „Wo ist die Facebookgeneration nun?“ fragt Schulleiter Ritter.

Sie sitzt im Goethe-Institut. Zumindest einige von ihnen. Hier wurde Anfang April die Tahrir Lounge eröffnet. Das Projekt wird mit 90000 Euro von der deutschen Regierung gefördert, es ist auf ein Jahr angelegt. Die junge ägyptische Nichtregierungsorganisation „Center for Peace & Human Development“ koordiniert die Aktivitäten. Es gibt Treffen zu Menschenrechten, wirtschaftlichen Reformen, Verfassung und Sozialstaat.

Heute ist eine Gruppe junger Journalisten hier. Numan al Monther arbeitet für das Wallstreet Journal und berichtet über die Anfänge des Bloggens in Ägypten. „Bis 2004 gab es regierungskritische Berichterstattung nur auf Englisch. Der Auslöser war eine Verfassungsreform, bei der Mubarak die Macht seiner Familie sichern wollte und die Zunahme von Belästigungen von Frauen“, erzählt er den jungen Journalisten.

Viele von ihnen sind erst durch die Revolution an den Journalismus gekommen, schreiben Blogs, twittern, vernetzen sich auf Facebook. „Sie wollen etwas verändern, aber eigentlich wissen sie nicht, was Journalismus ist“, sagt al Monther. Grundsätze wie die Trennung von Nachricht und Meinung sind ihnen fremd.

„Außerdem hat sich in vielen Redaktionen seit der Revolution nicht viel verändert“, fügt Amr Elfar hinzu. „Die leitenden Redakteure haben immer noch den Geist der alten Führung.“ Elfar arbeitet für die wichtigste ägyptische Zeitung, Al Ahram. Zusammen mit vier Kollegen hat er eine geschlossene Gruppe bei Facebook ins Leben gerufen, um zu besprechen, wie und wo sie in ihrem journalistischen Handeln behindert werden.

„Bis jetzt haben wir nur gegen eine Partei geschrieben, bald werden es viele sein“, sagt Ihab, der bei einer Zeitschrift arbeitet. Etwa 300 Bewegungen und 50 Parteien haben sich seit dem 25. Januar gegründet, Tendenz steigend. „Geht man auf den Tahrir-Platz, hörte man an jeder Ecke eine andere Meinung. Wie soll man sich da zurechtfinden?“ Für ihn ist klar, dass er Beobachter und Vermittler bleiben will – vielleicht so eine Art Musikwissenschaftler für die Kakophonie Kairo.

2011/07/17

Eine zweifelhafte Befreiung

Nach dem Freudentaumel der Revolution offenbaren sich die Risse in der ägyptischen Gesellschaft. Vor allem die Lage der Christen wird zum Spiegel der Situation des Landes. Sind sie die Verlierer der Revolution?

Es ist mitten in der Nacht als Safouat Sam’an in Luxor aufbricht. 55 Kilometer muss er entlang des Nil in die Kleinstadt Isna zurücklegen. „Ich hoffte, dass ich nicht zu spät komme“, erzählt Sam’an als er die Erinnerungen an diese Nacht wieder hervorholt. Ein befreundeter Christ hatte ihn angerufen und von dem Gerücht erzählt, das in Isna verbreitet wird: Auf einem Parkplatz sollte ein Christ einer Muslimin den Schleier heruntergerissen haben. „Ich wusste sofort, was passieren kann“, sagt Sam’an.

„Als ich ankam hatte die Polizei bereits Teile der Stadt abgeriegelt.“ Dort bot sich Sam’an Bild, das er bereits von anderen Vorfällen kannte: Die Polizei war vor Ort, aber schritt nicht ein, während ein Menschenmob christliche Läden in der Stadt plünderte. „Wir konnten nicht einmal helfen“, sagt Sam’an.

Diskriminierung, Morde und Anschläge prägen seit Jahren das Leben der christlichen Minderheit Ägyptens, der Kopten. Sie machen nach inoffiziellen Schätzungen zehn Prozent der Bevölkerung, etwa 8,2 Millionen Menschen, aus. Mit dem Sturz von Diktator Hosni Mubaraks haben die Ausbrüche von Gewalt gegen Christen zugenommen. In den Verwaltungsbezirken von Luxor und Qena, wo Sam’an zuhause ist, gibt es besonders viele Übergriffe.

Sam’an sitzt im Foyer von einem der derzeit kaum belegten Luxorer Hotels. Er ist eigentlich Bauunternehmer, betreibt seine eigene Firma in Luxor. Vor acht Jahren begann er damit, sich für Menschenrechte zu engagieren. Er eröffnete ein kulturelles Zentrum in Luxor, in dem er politische Bildung fördert. Seit der Revolution sehe er endlich die Möglichkeit, etwas zu bewegen, sagt er – auch für die Kopten, seine Glaubensgemeinschaft.

Unter Mubarak war das kaum möglich. „Das Regime hat die Gewalt gegen Christen instrumentalisiert, um von der Korruption im Staat abzulenken“, erklärt Sam’an. „Mit gezielt verbreiteten Gerüchten hat die Staatssicherheit immer wieder Öl ins Feuer gegossen, die Fanatiker angestachelt.“ Wenn er über die Gewalt spricht, redet Sam’an immer von „Fanatikern“, niemals von Muslimen im Allgemeinen. Trotzdem fragt er vor dem Gespräch, ob der Übersetzer Christ oder Moslem sei. Ob aus Angst oder Misstrauen, wird nicht klar.

Kirchenbau, Liebesbeziehungen zwischen jungen Kopten und Muslimen und Übertritte zur anderen Religion sind die häufigsten Auslöser der Gewalt. Zu Untersuchungen oder Verurteilungen kam es unter dem alten Regime so gut wie nie. Erst vor drei Jahren hat eine kleine Organisation, die Egytian Initiative for Personal Rights (EIPR) aus Kairo, damit begonnen, regelmäßig Berichte zu veröffentlichen. „Das ist ein erster Schritt, um die Problematik überhaupt öffentlich zu machen“, Ishak Ibrahim von der EIPR. Auch er ist Kopte. Das eintätowierte Kreuz am Handgelenk, das er unter der Hemdmanschette versteckt, verrät es.

Zur größten Gefahr für die Kopten sind nach der Revolution die Islamisten geworden, die vom alten Regime radikal unterdrückt wurden. „Um ihre Macht bis zu den Wahlen im September auszubauen, erzeugen sie bewusst Spannungen zwischen Kopten und Moslems“, sagt Ibrahim. Allen voran bauen sich die Gruppe der Salafisten derzeit als islamistische Präsenz im Land auf – nicht nur durch Gewalt gegen Christen, sondern auch gegen andere muslimische Strömungen und Säkulare. „Sie haben öffentlich damit gedroht, jede Frau zu schlagen, die kein Kopftuch trägt“, erzählt der junge Kopte.

Sind also die Kopten die großen Verlierer der ägyptischen Revolution? Aktivist Sam’an schüttelt verblüfft den Kopf. „Die Kopten kommen endlich in Bewegung“, sagt er. „Sie befreien sich von den Fesseln der Kirche.“ Dass Kopten öffentlich an der Seite der Moslems demonstrieren, wie es seit der Revolution öfter geschehen ist, sei eine völlig neue Entwicklung.

Über Jahrzehnte hinweg war der koptische Papst der einzige Ansprechpartner für Mubarak, alles lief innerhalb der Hierarchien der Kirche ab. Die Kopten waren praktisch unmündig – lebten in einer Parallelwelt, getrennt von den Moslems. Dass nun die alten Strukturen aufbrechen sei eine gute Entwicklung, meint Sam’an. „Sie ist die große Chance für eine echte Integration mit den Muslimen.“