abseitiges

2012/05/14

„Geistig in der Pubertät stehen geblieben“

Muslimische Eltern fürchten sich vor ihnen; für gewaltbereite Jugendliche sind sie ein zu Hause: die Salafisten. Ein Interview mit Rauf Ceylan, Islamwissenschaftler und Professor für islamische Religionspädagogik an der Uni Osnabrück.


Rauf Ceylan (Foto: Pollert)
Ob für den Wahlkampf oder nicht – Innenminister Friedrich fordert Ausweisungen. Ein Großteil der bis zu 5000 Salafisten ist friedlich und lebt einfach fromm, könnte ein hartes Vorgehen ihre Radikalisierung zur Folge haben?
Das könnte in der Tat passieren. Bisher gibt es innerhalb der Bewegung drei Strömungen, die einander nicht grün sind: Die Puritaner, die Politischen und die Gewaltbereiten. Sie leben zwar alle drei eine radikale Form des Islam mit einem vormodernen Verständnis von Staat und Gesellschaft, aber sie unterscheiden sich im Sendungsbewusstsein. Während die Puritaner mit ihrem frommen Leben eine Vorbild für andere sein wollen, haben die anderen Strömungen die religiösen Begriffe politisiert und greifen den säkularen Staat an. Wenn aber die aktuelle Debatte dazu führt, dass jeder Muslim mit Bart als gefährlicher Salafist gesehen wird, könnte das die Gruppen näher zusammenbringen als gewollt.

Wie funktioniert denn die Radikalisierung der Salafisten genau?
Eigentlich genauso wie bei allen extremistischen Gruppen. Die politisierten Salafisten arbeiten daran, Konflikte zu schaffen zwischen ihrer Weltsicht und der Sicht der „anderen“. Ihr Vokabular unterscheidet sich dabei nicht viel von Gruppen wie ProNRW. Es geht um Überfremdungsangst und darum, dass die eigenen Kultur überrannt wird. Sie rufen nicht zu Gewalt auf, aber schaffen die Voraussetzungen dafür. Die wirklich gewaltbereiten Salafisten, die Jihadisten, sind schließlich nur eine Gruppe von wenigen Hundert. Aber dass sie höchst gefährlich sind, zeigen allein acht vereitelte Anschlagsversuche in Deutschland. Davor können auch die etwa 4,2 Millionen Muslime in Deutschland ihre Augen nicht mehr verschließen.

2012/05/07

Die Krisenzeichner

Persönlich und einseitig: Die aktuellen Neuerscheinunge zeigen, dass Graphic Novels über den israelisch-palästinensischen Konflikt nicht politisch korrekt sein können – und auch nicht sollen.

Fast alles ist grau in Mahmouds Leben. Die alten Olivenbäume, auf die er als Kind geklettert ist, sind grau. Die Straßen des palästinensischen Flüchtlingslager Aida bei Bethlehem, in denen er aufgewachsen ist, sind grau. Seine Gedanken sind grau und seine Zeichnungen auch. Seit die Israelis sein Haus plattgewalzt, seine Schafe erschossen und seine Vögel vergast und auf Mahmouds Grund und Boden eine ihrer Siedlungen errichtet haben, ist alles grau.

Sechs Jahre lang, von seinem 14. bis zu seinem 20. Lebensjahr, hatte Mahmoud für den kleinen Hof außerhalb von Bethlehem gespart. Er hatte in Israel Arbeit gefunden, Juden kennengelernt und sogar begriffen, dass die Juden und die Araber aus ihrer Geschichte und Religion heraus eigentlich Cousins sind. „Ich brauchte Jahre, um dieses ,wir‛ aufzubauen, das sich eines Morgens in nichts auflöste“, sagt Mahmoud. Seitdem frisst sich eine Mauer durch sein Land. Wenn er seine Schwester in Beer Schewa besuchen will, muss er zu den Stellen im Süden reisen, wo sie nur ein Zaun ist und hoffen, dass kein israelischer Soldat ihn erwischt, wenn er durch die Löcher klettert.

»Deutschland bremst die Sanktionen«

Deutschland ist Irans wichtigster westlicher Handelspartner – auch nach den harten Sanktionen vom Januar. Sollte das Regime die Bombe bekommen, ist das auch die Schuld der Handelspartner, die den Iran weiter mit Hightech versorgen, sagt Michael Spaney vom Berliner Mideast Freedom Forum und der Kampagne „Stop the Bomb“.

Michael Spaney ist TV-Journalist und Vorsitzender des Mideast Freedom
Forum Berlin und Sprecher der Kampagne „Stop the Bomb“. (Foto:Seidel)
Der israelische Generalstabschef Benny Gantz hat erklärt, dass nach seinen Informationen der Iran noch nicht entschieden habe, die Atombombe zu bauen. Wirken die Sanktionen also?
Nein. Der Iran hat nicht damit aufgehört, die drei Sektoren, die zu der Entwicklung einer Atombombe nötig sind, voranzutreiben: die Urananreicherung, die Herstellung eines Sprengkopfes und der Rakete, die diesen Sprengkopf dann ins Ziel bringt. In allen drei Bereichen sieht die Internationale Atomenergiebehörde IAEO Verstöße. Die Sprache der Berichte aus November und Februar ist sehr vorsichtig, aber die politische Einschätzung, die daraus folgt, ist eindeutig: Der Iran arbeitet an einem Atomwaffenprogramm. Die Äußerungen von Benny Gantz oder auch dem US-Geheimdienst sind kein ausreichendes Argument dagegen. Denn das Regime kann die Entwicklung in den drei separaten Bereichen so weit vorantreiben, dass der letzte Schritt, der Bau der Bombe, am Ende relativ schnell geht.

Bisher soll der Iran nur Uran besitzen, das auf 20 Prozent angereichert ist. Für eine Bombe braucht man aber mindestens 80 Prozent.

Der größere Schritt ist allerdings der Anreicherung von 3,5 Prozent auf 20 Prozent. Denn ist das Regime erst einmal im Besitz der Technik, kann mit der Anreicherung auf waffenfähiges Uran fortgefahren werden. Damit ist man schon mehr als 75 Prozent des Weges gegangen. Olli Heinonen, ein früherer IAEO-Beauftragter, sagt sogar, dass man Iran noch nicht einmal die Anreicherung auf 3,5 Prozent, was für Kernkraftwerke benötigt wird, erlauben soll.

20-prozentiges Uran benötigt man ja beispielsweise für medizinische Behandlungen gegen Krebs. Ist es denn völlig ausgeschlossen, dass der Iran ein ausschließlich ziviles Atomprogramm aufbaut.

Die Frage ist doch, warum das Land mit dem weltweit viertgrößten Vorhaben an Öl und dem zweitgrößten an Gas, Energie aus Kernkraft gewinnen will. Man könnte sich einfach ein Gaskraftwerk hinstellen – oder zumindest Brennstäbe aus Russland kaufen. Selbst anzureichern ist ein unverhältnismäßig großer Aufwand. Wenn man sich ein Auto kaufen will, baut man ja auch keine Raffinerie und ein Stahlwerk.