abseitiges

2012/05/07

Die Krisenzeichner

Persönlich und einseitig: Die aktuellen Neuerscheinunge zeigen, dass Graphic Novels über den israelisch-palästinensischen Konflikt nicht politisch korrekt sein können – und auch nicht sollen.

Fast alles ist grau in Mahmouds Leben. Die alten Olivenbäume, auf die er als Kind geklettert ist, sind grau. Die Straßen des palästinensischen Flüchtlingslager Aida bei Bethlehem, in denen er aufgewachsen ist, sind grau. Seine Gedanken sind grau und seine Zeichnungen auch. Seit die Israelis sein Haus plattgewalzt, seine Schafe erschossen und seine Vögel vergast und auf Mahmouds Grund und Boden eine ihrer Siedlungen errichtet haben, ist alles grau.

Sechs Jahre lang, von seinem 14. bis zu seinem 20. Lebensjahr, hatte Mahmoud für den kleinen Hof außerhalb von Bethlehem gespart. Er hatte in Israel Arbeit gefunden, Juden kennengelernt und sogar begriffen, dass die Juden und die Araber aus ihrer Geschichte und Religion heraus eigentlich Cousins sind. „Ich brauchte Jahre, um dieses ,wir‛ aufzubauen, das sich eines Morgens in nichts auflöste“, sagt Mahmoud. Seitdem frisst sich eine Mauer durch sein Land. Wenn er seine Schwester in Beer Schewa besuchen will, muss er zu den Stellen im Süden reisen, wo sie nur ein Zaun ist und hoffen, dass kein israelischer Soldat ihn erwischt, wenn er durch die Löcher klettert.

„Ich glaube nicht an Objektivität“
Bleischwer ist das Leben von Mahmoud geworden, genauso wie die Farbtöne, die sich über jede Seite von Maximilien le Roys grafischer Kurzgeschichte „Die Mauer“ legen – eine der vielen Comic-Geschichten, die innerhalb des letzten Jahres über den israelisch-palästinensischen Konflikt erschienen sind. „Die Mauer“ ist die neueste, druckfrisch zur Leipziger Buchmesse auf den Markt gekommen. Anfang des Jahres wurde „Aufzeichnungen aus Jerusalem“ des Kanadiers Guy Delisle veröffentlicht, im vergangenen Herbst „Israel verstehen“ von der Amerikanerin Sarah Glidden und Joe Saccos „Gaza“.

„Ich glaube nicht an Objektivität, ich glaube an Fairness“, hat Joe Sacco in einem Interview mit der „Neuen Zürcher Zeitung“ gesagt und damit eine Mission umrissen, die auch den anderen Autoren zu eigen ist. Der US-Amerikaner ist 1992 das erste Mal in die palästinensischen Autonomiegebiete gereist, um – nach eigenen Aussagen – der proisraelischen Berichterstattung in seinem Heimat einen Gegenpol zu setzen. Daraufhin entstand seine erste Graphic Novel zu dem Thema, „Palästina“, in der er sowohl inhaltlich als auch grafisch ein schwarz-weißes Bild der des Konflikts zeichnet.

„Israel loswerden – wie einen ungeliebten Verwandten“
Auch Sarah Glidden kam das erste Mal mit dem Ziel nach Israel, um dem Unrecht gegen die Palästinenser Gehör zu verschaffen. „Als amerikanische Jüdin erwartet jeder von dir, dass du auf der Seite von Israel stehst. Ich wollte Israel endlich loswerden – wie einen ungeliebten Verwandten“, sagt die Autorin. Sie wählte für diese Mission die größtmögliche Herausforderung: Sie nahm an einer Birthright-Tour teil. Die Organisation lädt jährlich etwa 37000 junge Juden zu zehntägigen kostenlosen Trips durch Israel ein, von den Golanhöhen bis in die Wüste, Gehirnwäsche inklusive. „Den jungen Leuten wird ein fantastischer Ort gezeigt, der gar nicht existiert“, sagt Glidden.

Immer wieder versucht die Erzählerin ihrer Geschichte, den erhobenen Zeigefinger zu benutzen, gerät aber zunehmend ins Schlingern. Sie merkt, dass auch sie dazugehören könnte, vielleicht sogar möchte. Die lernt viele Israelis kenne, die sich nach Frieden sehnen und bemerkt schockiert, wie jung die Soldaten sind. Dem imaginären Gerichtsprozess in ihrem Kopf – „Gehirnwäsche vs. keine Gehirnwäsche durch Birthright“ – gehen mit der Zeit die Belastungszeugen aus.

Wer hat Angst vorm Hamas-Känguruh?
Die Geschichten, die Sacco als auch Glidden gezeichnet haben, sind hochgradig subjektiv, reflektieren die Vorgehensweisen der Autoren und erheben keinen Anspruch auf Ausgewogenheit. Dennoch, oder gerade deshalb, zeigen sie Seiten des Konflikts, die sonst selten zu sehen sind. Entscheidend ist nicht, ob das gezeichnete Bild wirklich authentisch ist, wie es ein Foto oder eine Filmaufnahme sein kann. Denn der Comic überzeichnet – aber stellt das dar, was für den Zeichner wahr ist. Mit Graphic-Novels wie jene über den Nahost-Konflikt rückt der Comic aus der Pop-Ecke und profiliert sich als ernstzunehmendes Medium.

Eine solche Perspektive kann sogar lustig sein, selbst bei einem so ernsten Thema. Daran gemessen hat Guy Delisle ein wahres Kunstwerk vollbracht. Ein Jahr lang hat sich der Kanadier als Hausmann mit zwei Kindern durch den Jerusalemer Alltag geschlagen, durch die beiden öffentlichen Verkehrssysteme – das jüdische und das arabische –, hat die rüpeligen griechisch-orthodoxen Priester in der Grabeskirche kennengelernt und sich gewundert, warum die Israelis ihre Knarren sogar mit in den Zoo nehmen. Ob sie Angst vor dem Hamas-Känguruh hätten, fragt sich sein Comic-Guy.

„Ein Comic zeichnet keine Postkartenmotive, sondern Kleinigkeiten, die für den Autor von Bedeutung scheinen. Er wiederholt und verändert sie. Er holt das Charakteristische aus ihnen heraus“, sagt Glidden. Von diesen Details strotzen die vier Werke. Glidden etwa fängt ein, dass Israelis gerne eine Rolle Klopapier bei sich tragen – anstelle von Taschentüchern. Ein anderes Detail taucht gleich in mehreren Büchern auf. Unbemerkt schleicht sich der Schriftzug eines der bekanntesten Graffti-Künstler Israels in die Graphic Novels ein. Und dieser lautet, wie konterkarierend zu den düsteren Aussichten des Friedensprozesses: Know hope.

Leseproben von Edition Moderne/Panini Comics/Reprodukt

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