abseitiges

2012/03/12

Adopt a revolution

Während sich die internationale Gemeinschaft über eine militärische Intervention in Syrien in den Haaren liegt, hilft ein Projekt aus Berlin unbürokratisch und schnell. „Adopt a Revolution“ rüstet die Aktivisten mit Handys, Kameras und Bargeld aus – geschmuggelt über Mittelsmänner. In zweieinhalb Monaten sind 90000 Euro zusammen gekommen.

Das Gesicht oder die Stimme zu zeigen, ist zu gefährlich.
Demonstranten in Al Yadudah

Es ist ein schlimmes Gefühl, wenn wieder ein Aktivist plötzlich verschwindet. „Manchmal habe ich noch am Vorabend mit ihm geskypt, und dann ist er wie vom Erdboden verschwunden – und ich weiß, dass er irgendwo gefangen gehalten und gefoltert wird“, sagt Elias Perabo. Täglich verschwinden Menschen, mit denen der Politikwissenschaftler und seine Kollegen zusammenarbeiten. Manchen gelingt das Leben im Untergrund, manchen sogar die Flucht nach Jordanien, den Libanon oder die Türkei, aber viele lassen ihr Leben, wenn Assads Schergen sie in die Finger bekommen. Mindestens 95000 Menschen sind im In- und Ausland auf der Flucht, schätzen die Vereinten Nationen.

„Wer im Untergrund überleben will, braucht Geld. Eine Wohnung muss angemietet, Essen und Medikamente müssen besorgt werden“, sagt Perabo. Auf verletzte Aktivisten, das berichten viele der Geflohenen, machen die Militärs erst recht Jagd, während die Krankenhäuser sich weigern, sie zu behandeln. Zweimal war Perabo im vorigen Jahr in Syrien, im Frühjahr und noch einmal im August. „Was ich dort an Mut erlebt habe, hat mir großen Respekt eingeflößt“, sagt er.

Das Geld zu sammeln, ist noch die leichteste Aufgabe
Perabo wollte helfen, aber wusste nicht wie. In Beirut bekam er Kontakt zu Rami Nakhle, einem der wichtigsten syrischen Cyber-Aktivisten. Zwei Monate lang unterstützte er ihn bei seinen Aktionen gegen das Assad-Regime. Rückblickend betrachtet, war dies wohl die Eintrittskarte in die Netzwerke der syrischen Opposition. Denn ohne gute Kontakte hätte Perabo sein eigenes Projekt niemals auf die Beine stellen können. Geld zu sammeln ist nämlich nur der erste, vielleicht sogar der einfachste Schritt, um den Widerstandskämpfern in Syrien zu helfen. Wie das Geld dann zu den Aktivisten vor Ort kommt, steht auf einem ganz anderen Blatt.

Frauen gegen Assad: Die Opposition in Harasta.

„Wir arbeiten mit drei Aktivistennetzwerken zusammen, deren Mittelsmänner die gefährliche Aufgabe übernehmen, Geld oder Sachspenden über die Grenze zu bringen“, sagt Perabo. Das Local Coordination Comitee of Syria, die Syrian Revolution General Commission und das kurdische Netzwerk versorgen die 31 Komitees, denen „Adopt a Revolution“ als Pate zur Seite steht. Landesweit haben sich nach Beginn der Aufstände zirka 300 dieser zivil organisierten Zusammenschlüsse gebildet.

Kein Bargeld in Krisengebiete
„Man kann sich das wie eine Nachbarschaftshilfe vorstellen, deren Mitglieder einander vor Angriffen warnen, gemeinsam Demonstrationen organisieren, aber auch dokumentieren wer wann wie lange in Gefangenschaft gerät“, sagt Perabo. Die Menschen, die sich in den Komitees organisieren, sind dabei so vielfältig wie das Land. Im Norden hat sich die kurdische Minderheit zusammengeschlossen, die Lebensmittel auf Umwegen über die türkische Grenze schmuggeln muss. In den Städten wurden Studentenkomitees gegründet, aber es existieren auch Zusammenschlüsse religiöser Männer oder Aktivistinnen.

Wer bei „Adopt a Revolution“ spenden will, findet eine detaillierte Beschreibung jedes Komitees auf der Internetseite des Projekts. Die Initiatoren sind um größtmögliche Transparenz bemüht, denn für Waffen soll das gespendete Geld nicht ausgegeben werden. „Wir haben die Beträge extra niedrig gewählt. Jedes Komitee bekommt zwischen 700 und 900 Euro. Damit kommt man beim Waffenkauf nicht weit“, sagt Perabo. Sobald die Aktivisten sich Handys, Kameras, Transparente oder Farben besorgt haben, filmen sie ihre Einkäufe und schicken das Video nach Berlin. „In die Krisengebiete schicken wir nur die Hardware, kein Geld. Aus Verzweiflung würden die Menschen dort auch Waffen kaufen.“ Nach vier bis sechs Wochen erhält jeder Spender einen Bericht über sein Patenprojekt. Etwa 90000 Euro sind auf diese Weise in zweieinhalb Monaten zusammengekommen.

Baschar al-Assad gehört zur Familie.

Durch die Unterstützung von Ferhad Ahma, Grünen-Politker und Mitglied des syrischen Nationalrats, hat „Adopt a Revolution“ in Berlin schnell Fuß gefasst. Zweimal hat Perabo das Projekt bereits in der Bundespressekonferenz vorgestellt – und dabei unter anderem die Unterstützung durch die „tageszeitung“ erreicht. So viel Öffentlichkeit birgt aber auch ein Risiko – für die Berliner Aktivisten und deren Mittelsmänner. Ziel von Angriffen ist das Projekt bisher nicht geworden. „Aber uns ist klar, dass wir beobachtet werden“, sagt Perabo. Immer öfter kapere der Geheimdienst Skypekonten von getöteten Aktivisten, um dann Computerviren im Oppositionsnetzwerk zu streuen.

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