abseitiges

2012/06/04

Der Wendehals

Seit er im Alter von neun Jahren nach Israel gekommen ist, hat sich Schaul Mofas nach oben gekämpft. Als orientalischer Jude in einer europäischen Machtelite. Nun wird er als
gebürtiger Iraner vielleicht den Militärschlag gegen sein Herkunftsland befehligen – oder Israel und die Palästinenser versöhnen? Für beides spricht einiges.


„Mofas hat gelernt, dass es immer einen Weg gibt. Wenn nicht durch die Tür, dann durchs Fenster“, schrieb der israelische Kolumnist Ofer Shelah vor einigen Wochen. Ursprünglich meinte er damit wohl den unbedingten Willen des frischgebackenen Oppositionsführers, die Regierung von Premier Benjamin Netanjahu zu Fall zu bringen – so wie Mofas bisher vieles in seinem Leben mit eiserner Disziplin verfolgt hat: wie er zum Israeli wurde, dann zum Soldaten und dann zu einem von ihnen, den mächtigen Männern in Israel. Shelah hat sich sicher nicht ausmalen können, um wie viel zutreffender seine Worte nur wenige Tage später sein würden, als Mofas Benjamin Netanjahu zum stärksten Ministerpräsidenten Israels seit Staatsgründer David Ben Gurion und sich selbst zum Vize-Premier macht.

Mofas’ Karriere ist damit an ihrem bisher höchsten Punkt angelangt. Aber kann er mehr sein als der Königsmacher? Israel steht im Frühsommer 2012 an einem kritischen Punkt. Ein Militärschlag gegen den Iran liegt in der Luft. Das warme Wetter wird die jungen Demonstranten zurück auf die Straße holen, die die Gräben zwischen säkularer und religiöser Gesellschaft hervortreten lassen. Schließlich der Siedlungsbau: Während die Regierung behauptet, keinen Ansprechpartner bei den Palästinensern zu haben, ist man im Hintergrund dabei, weite Teile des Westjordanlandes mit illegalen Outposts zu zerstückeln – eine Strategie, die von den Palästinensern nur als Provokation empfunden werden kann.


Als Mofas Anfang Mai neben Netanjahu vor die Presse trat, war das ein starkes Signal: Hier stehen die beiden Männer an der Spitze Israels. Ohne ihre Parteien, quasi im Alleingang, hatten sie sich an die Spitze gehievt. Das zeigt einmal mehr die Schwächen des politischen Systems des Landes, das mehr auf Einzelpersonen denn auf Parteien ausgerichtet ist. Mit ihrem Coup haben Mofas und Netanjahu aber auch Außenminister und Vizepremier Avigdor Liberman ausgespielt, der in Deutschland weilte und von dem Kabinettstück aus den Medien erfuhr. Nationalist Liberman hatte in der Vergangenheit oft gerade dann gedroht, die Regierung scheitern zu lassen, wenn Netanjahu drauf und dran war, Zugeständnisse zu machen. Dieses Obstakel wäre damit aus dem Weg geräumt.

Ist jetzt der Weg zum Frieden frei? Gegenüber der „New York Times“ hat Mofas vor wenigen Wochen erstaunliche Äußerungen gemacht. „Die größte Gefahr für den israelischen Staat ist nicht ein nuklearer Iran, sondern dass Israel in 30 oder 50 Jahren ein binationaler Staat wird“, sagte er. „Also ist es in Israels Interesse, dass ein palästinensischer Staat geschaffen wird.“ Als erster israelischer Politiker gestand Mofas den Palästinensern 100 Prozent ihrer territorialen Ansprüche zu. Die großen Siedlungsblöcke solle man behalten, den Palästinensern dafür aber israelisches Land als Kompensation geben. Mit diesen progressiven Ideen machte der sogenannte Mofas-Plan Furore in der israelischen Öffentlichkeit.

Um beurteilen zu können, wie weit Mofas’ Friedenswille wirklich reicht, muss man etwas weiter zurückgehen als die vergangenen, politisch heiß umkämpften Wochen. Am besten beginnt man im Jahr 1957, als ein neunjähriger Junge namens Schahram Mofazzakar mit seinen Eltern und Geschwistern erstmals israelischen Boden betritt. Die Familie stammt aus Teheran, der Vater hat sein Geld dort als Schulleiter verdient. Schnell wird klar, dass er sich auf einen solchen Posten in Eilat, wo seine Familie sich in einer Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung niederlässt, keine Hoffnung machen muss. Das typische Einwandererschicksal einer orientalischen Familie entfaltet sich.

Mit elf Jahren beginnt Schahram, der nun Schaul heißt, auf dem Bau zu arbeiten. Mit 14 schickt ihn sein Vater in ein Landwirtschaftsinternat nach Galiläa, eine Tagesreise von zu Hause entfernt. Er steht jeden Tag in der Morgendämmerung auf, um die Kühe zu melken, aber auch dort bleibt er immer der Fremde unter den europäischen Juden. Erst als er mit 18 zu den Fallschirmjägern kommt, versteht er, was es heißt, dazuzugehören. Wenn er am Wochenende in Uniform zurück in die genossenschaftliche Siedlung kommt, fühlt er sich wie ein Israeli. Es ist der erste Schritt eines ehrgeizigen Aufstiegs.

Mofas kämpft im Sechs-Tage-Krieg, im Yom-Kippur-Krieg, im Libanonkrieg von 1982 und er ist dabei, als 1976 die jüdischen Geiseln der Entebbe-Entführung in Uganda befreit werden. Obwohl er drei Anläufe nehmen muss, um für die Offizierslaufbahn akzeptiert zu werden, wird er 1998 Oberbefehlshaber der israelischen Armee. 2002 beginnt seine politische Karriere, als Ariel Scharon ihn zum Verteidigungsminister macht. Zusammen mit Scharon plant und führt Mofas den Rückzug aus dem Gazastreifen im Jahr 2005 durch.
Übervater der jungen Demonstranten

Mit seinem Einstieg in die Politik beginnt aber auch das, was Oppositionsführerin Shelly Yacimovich Anfang Mai „den verachtungswürdigsten Zickzack in Israels politischer Geschichte“ nennt. Unter die 10 Jahre von Mofas’ politischer Karriere könnte man das vernichtende Fazit ziehen, dass Mofas’ Wort nicht viel Wert ist. Im Amt gab er sich als Hardliner – gegen die Palästinenser und gegen Israels Feinde. 2008 hielt er einen Militärschlag gegen den Iran für „unvermeidlich“: „Wenn Iran sein Programm zur Entwicklung fortsetzt, werden wir angreifen, Sanktionen sind wirkungslos.“

Vor vier Jahren dann der Imagewechsel. Kadima verliert die Wahlen, Netanjahu übernimmt den Premiersposten und die Themen, für die Mofas gestritten hat. Die Folge ist eine 180-Grad-Wende des Politikers. Er polemisiert gegen die Kriegsvisionen, er legt seinen Mofas-Plan für den Frieden mit den Palästinensern vor. Dass er in den siebziger Jahren selbst eine der ersten Siedlungen im Westjordanland, Elkana, mit gründete und dort lebte, verschweigt er dabei. Als im Sommer 2011 die Welle der sozialen Proteste anrollt, sieht Mofas die Chance, seine Konkurrentin um den Parteivorsitz, Zipi Livni, auszuschalten. Mofas, der orientalische Aufsteiger, der selbst vier Kinder und drei Enkel hat, stilisiert sich als fürsorglicher Übervater für die jungen Demonstranten. Er reiht sich in ihre Märsche ein, besucht die Zeltstädte.

Aber schließlich ist die Oppositionsrolle, das Engagement für die kleinen Leute und wahrscheinlich auch für den Frieden nichts für den Aufsteiger Mofas. Bis zur US-Wahl im November wird aller Voraussicht nach keine Entscheidung über Krieg oder Frieden getroffen werden. Aber dann? Bisher hat Mofas als Minister kein Ressort, soll sich in Netanjahus Auftrag um den Friedensprozess kümmern. Wahrscheinlicher ist aber, dass der gebürtige Iraner am Ende einen Feldzug gegen sein Herkunftsland veranlassen wird.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen