abseitiges

2011/07/17

Eine zweifelhafte Befreiung

Nach dem Freudentaumel der Revolution offenbaren sich die Risse in der ägyptischen Gesellschaft. Vor allem die Lage der Christen wird zum Spiegel der Situation des Landes. Sind sie die Verlierer der Revolution?

Es ist mitten in der Nacht als Safouat Sam’an in Luxor aufbricht. 55 Kilometer muss er entlang des Nil in die Kleinstadt Isna zurücklegen. „Ich hoffte, dass ich nicht zu spät komme“, erzählt Sam’an als er die Erinnerungen an diese Nacht wieder hervorholt. Ein befreundeter Christ hatte ihn angerufen und von dem Gerücht erzählt, das in Isna verbreitet wird: Auf einem Parkplatz sollte ein Christ einer Muslimin den Schleier heruntergerissen haben. „Ich wusste sofort, was passieren kann“, sagt Sam’an.

„Als ich ankam hatte die Polizei bereits Teile der Stadt abgeriegelt.“ Dort bot sich Sam’an Bild, das er bereits von anderen Vorfällen kannte: Die Polizei war vor Ort, aber schritt nicht ein, während ein Menschenmob christliche Läden in der Stadt plünderte. „Wir konnten nicht einmal helfen“, sagt Sam’an.

Diskriminierung, Morde und Anschläge prägen seit Jahren das Leben der christlichen Minderheit Ägyptens, der Kopten. Sie machen nach inoffiziellen Schätzungen zehn Prozent der Bevölkerung, etwa 8,2 Millionen Menschen, aus. Mit dem Sturz von Diktator Hosni Mubaraks haben die Ausbrüche von Gewalt gegen Christen zugenommen. In den Verwaltungsbezirken von Luxor und Qena, wo Sam’an zuhause ist, gibt es besonders viele Übergriffe.

Sam’an sitzt im Foyer von einem der derzeit kaum belegten Luxorer Hotels. Er ist eigentlich Bauunternehmer, betreibt seine eigene Firma in Luxor. Vor acht Jahren begann er damit, sich für Menschenrechte zu engagieren. Er eröffnete ein kulturelles Zentrum in Luxor, in dem er politische Bildung fördert. Seit der Revolution sehe er endlich die Möglichkeit, etwas zu bewegen, sagt er – auch für die Kopten, seine Glaubensgemeinschaft.

Unter Mubarak war das kaum möglich. „Das Regime hat die Gewalt gegen Christen instrumentalisiert, um von der Korruption im Staat abzulenken“, erklärt Sam’an. „Mit gezielt verbreiteten Gerüchten hat die Staatssicherheit immer wieder Öl ins Feuer gegossen, die Fanatiker angestachelt.“ Wenn er über die Gewalt spricht, redet Sam’an immer von „Fanatikern“, niemals von Muslimen im Allgemeinen. Trotzdem fragt er vor dem Gespräch, ob der Übersetzer Christ oder Moslem sei. Ob aus Angst oder Misstrauen, wird nicht klar.

Kirchenbau, Liebesbeziehungen zwischen jungen Kopten und Muslimen und Übertritte zur anderen Religion sind die häufigsten Auslöser der Gewalt. Zu Untersuchungen oder Verurteilungen kam es unter dem alten Regime so gut wie nie. Erst vor drei Jahren hat eine kleine Organisation, die Egytian Initiative for Personal Rights (EIPR) aus Kairo, damit begonnen, regelmäßig Berichte zu veröffentlichen. „Das ist ein erster Schritt, um die Problematik überhaupt öffentlich zu machen“, Ishak Ibrahim von der EIPR. Auch er ist Kopte. Das eintätowierte Kreuz am Handgelenk, das er unter der Hemdmanschette versteckt, verrät es.

Zur größten Gefahr für die Kopten sind nach der Revolution die Islamisten geworden, die vom alten Regime radikal unterdrückt wurden. „Um ihre Macht bis zu den Wahlen im September auszubauen, erzeugen sie bewusst Spannungen zwischen Kopten und Moslems“, sagt Ibrahim. Allen voran bauen sich die Gruppe der Salafisten derzeit als islamistische Präsenz im Land auf – nicht nur durch Gewalt gegen Christen, sondern auch gegen andere muslimische Strömungen und Säkulare. „Sie haben öffentlich damit gedroht, jede Frau zu schlagen, die kein Kopftuch trägt“, erzählt der junge Kopte.

Sind also die Kopten die großen Verlierer der ägyptischen Revolution? Aktivist Sam’an schüttelt verblüfft den Kopf. „Die Kopten kommen endlich in Bewegung“, sagt er. „Sie befreien sich von den Fesseln der Kirche.“ Dass Kopten öffentlich an der Seite der Moslems demonstrieren, wie es seit der Revolution öfter geschehen ist, sei eine völlig neue Entwicklung.

Über Jahrzehnte hinweg war der koptische Papst der einzige Ansprechpartner für Mubarak, alles lief innerhalb der Hierarchien der Kirche ab. Die Kopten waren praktisch unmündig – lebten in einer Parallelwelt, getrennt von den Moslems. Dass nun die alten Strukturen aufbrechen sei eine gute Entwicklung, meint Sam’an. „Sie ist die große Chance für eine echte Integration mit den Muslimen.“

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