abseitiges

2011/07/18

Kakophonie Kairo

Kein Ort in Ägypten verbindet Alt und Neu wie der Tahrir-Platz. Rund um den Platz erzählen Menschen von ihrem Weg ins neue Ägypten. Ein Blick in den Mikrokosmos aus Graffiti, Gartenschläuchen und einer neuen Zeitrechnung.

Es ist nicht leicht, sich in Ihabs Windschatten zu halten. Aber es ist sicherer, denn der 24-jährige Journalist läuft stets auf der Straße, auf dem schmalen Streifen zwischen parkenden und vorbei bretternden Autos. Fußgängerweg? „Da bin ich vor der Revolution gelaufen. Das machen jetzt alle so“, sagt er. Aha. Wir sind am Tahrir-Platz angelangt. Die Sonne ist untergegangen, die Hitze des Tages abgeklungen. Auf dem berühmt gewordenen Rondell im Zentrum des Kreisverkehrs sitzen Menschen, essen, reden, treffen Freunde.

An keinem anderen Ort verknüpfen sich die Fäden von Altem und Neuem in Ägypten wie auf dem Tahrir-Platz mit dem ehrwürdigen ägyptischen Museum auf der einen, dem in Grafitti gekleideten Verwaltungsgebäude Mugamma auf der anderen Seite. Am Geländer um den Platz flattern ägyptische Fahnen im Wind – nicht zum Schwenken, zum Verkauf. „The day we changed Egypt, 25. Januar“ und „Tahrir, Freedom, Facebook“ sind auf die T-Shirts darunter gedruckt. Dazu gibt es Pins, Anhänger und Fotokalender – die Revolution ist längst zum kommerziellen Ereignis geworden.

„Platz der Märtyrer“ – ein buntes Graffito prangt am nördlichen Eingang des Platzes. „Graffiti sind etwas Neues für uns Ägypter. Das kannten wir vor der Revolution nicht“, erklärt Ihab. Auf der Rückseite der Mugamma finden sich noch mehr, meistens Schriftzüge, aber auch Stencils, die durch Schablonen gesprüht werden. „Ich zerstöre mein Land nicht“, steht auf dem einen, daneben ist eine Faust gesprüht, die einen Panzer durchschlägt.

Jeder in Kairo will seine Geschichte erzählen, jeder will gehört werden. Die persönlichen Versionen der „Thaura“, der Revolution, schwirren durch die Stadt wie das ständige Hupen, der ewige Baulärm. Die Thaura ist die neue Stimme in der Kakophonie Kairo.

Schwester Mathilde erzählt von ihrem Glauben an die Ägypter. „Wir saßen beim Abendessen als es losging. Mit einem Gartenschlauch haben wir die Brände vor unserer Tür gelöscht“, die Leiterin des Konvents der Borromäerinnen, die seit 1884 deutsche Schulen in Ägypten führen. Ihre Schule liegt in einer Seitenstraße des Tahrir-Platzes, unweit des ehemaligen Innenministeriums. Während der 18 Tage der Proteste hatten sich die fünf Konventschwestern auf dem Schulgelände verschanzt.

Erst am 11. Februar, als Mubarak endlich ging, wagte sich Schwester Mathilde zusammen mit einem der Nachwächter in Richtung Tahrir-Platz – und beobachtete erstaunt, wie die Kairoer Ordnung schufen. „Auf den Kreuzungen standen Laien mit Stöcken und regelten den Verkehr.“

Seit der Revolution erobern die Menschen ihre Stadt neu. Sie pflanzen Bäume und Blumen. Kinder sammeln Geld und streichen die Laternenpfahle in den Nationalfarben. Menschen reinigen die Straße vom Müll. In Gesprächen benutzen sie Zeitangaben wie „in der ersten Woche“ und „im ersten Monat“ und meinen damit die Zeit ab dem 25. Januar. Es ist, als hätte eine neue Zeitrechnung begonnen.

Und sie lernen mit ihrer Freiheit umzugehen. „Eine Mutter hat angefragt, ob ihr Kind nun doch versetzt werden könnte – nun, nach der Revolution“, erzählt Walter Ritter, Schulleiter der deutschen Schule. Das sind die lustigeren Bespiele. Die ernsteren äußern sich im Aufkeimen islamistischer Kräfte, allem voran den Salafisten. Vor einigen Wochen kündigten sie an, jedes Mädchen zu schlagen, das kein Kopftuch trüge. Viele der Schülerinnen blieben darauf dem Unterricht fern. „Wo ist die Facebookgeneration nun?“ fragt Schulleiter Ritter.

Sie sitzt im Goethe-Institut. Zumindest einige von ihnen. Hier wurde Anfang April die Tahrir Lounge eröffnet. Das Projekt wird mit 90000 Euro von der deutschen Regierung gefördert, es ist auf ein Jahr angelegt. Die junge ägyptische Nichtregierungsorganisation „Center for Peace & Human Development“ koordiniert die Aktivitäten. Es gibt Treffen zu Menschenrechten, wirtschaftlichen Reformen, Verfassung und Sozialstaat.

Heute ist eine Gruppe junger Journalisten hier. Numan al Monther arbeitet für das Wallstreet Journal und berichtet über die Anfänge des Bloggens in Ägypten. „Bis 2004 gab es regierungskritische Berichterstattung nur auf Englisch. Der Auslöser war eine Verfassungsreform, bei der Mubarak die Macht seiner Familie sichern wollte und die Zunahme von Belästigungen von Frauen“, erzählt er den jungen Journalisten.

Viele von ihnen sind erst durch die Revolution an den Journalismus gekommen, schreiben Blogs, twittern, vernetzen sich auf Facebook. „Sie wollen etwas verändern, aber eigentlich wissen sie nicht, was Journalismus ist“, sagt al Monther. Grundsätze wie die Trennung von Nachricht und Meinung sind ihnen fremd.

„Außerdem hat sich in vielen Redaktionen seit der Revolution nicht viel verändert“, fügt Amr Elfar hinzu. „Die leitenden Redakteure haben immer noch den Geist der alten Führung.“ Elfar arbeitet für die wichtigste ägyptische Zeitung, Al Ahram. Zusammen mit vier Kollegen hat er eine geschlossene Gruppe bei Facebook ins Leben gerufen, um zu besprechen, wie und wo sie in ihrem journalistischen Handeln behindert werden.

„Bis jetzt haben wir nur gegen eine Partei geschrieben, bald werden es viele sein“, sagt Ihab, der bei einer Zeitschrift arbeitet. Etwa 300 Bewegungen und 50 Parteien haben sich seit dem 25. Januar gegründet, Tendenz steigend. „Geht man auf den Tahrir-Platz, hörte man an jeder Ecke eine andere Meinung. Wie soll man sich da zurechtfinden?“ Für ihn ist klar, dass er Beobachter und Vermittler bleiben will – vielleicht so eine Art Musikwissenschaftler für die Kakophonie Kairo.

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