abseitiges

2011/10/10

Ägypten am Scheideweg

Es war Anfang Juni, als ich zum ersten Mal von Maikel Nabil Sanaad las. Ein junger Blogger, Regimekritiker und Revolutionär, sei von der Militärregierung festgenommen worden. Die Stürme auf dem Tahrir-Platz hatten sich verzogen. Mubarak war gestürzt. Im Zentrum des Tahrirs hatte man Grünflächen angelegt, und Straßenverkäufer vertickten Revolutionssouvenirs als für Maikel Nabil Sanaad die schlimmste Zeit seines Lebens begann.

Graffito mit dem Konterfeil von Maikel Nabil Sanaad in Kairo.
Foto: Beshoy Fayez

Ein paar Tage später im Goethe-Institut. Weil nur einen Steinwurf vom Tahrir entfernt gelegen, war die herrschaftliche Villa das Frühjahr hindurch geschlossen gewesen. Nun tagte hier die Tahrir-Lounge, die digitale Speerspitze des arabischen Frühlings. Was er dazu sage, dass Maikel Nabil Sanaad, ein Blogger wie er, einer mehrjährigen Gefängnisstrafe entgegensehe?, fragte ich einen jungen Mann. Maikel sei ein besonderer Fall, war die knappe Antwort. Wiederwillig bezog er erst auf meine Nachfragen Position. „Maikel hat den Militärdienst verweigert. So etwas macht kein Mensch, der sein Land liebt.“

Maikel Nabil war 2010 der erste Ägypter, der es wagte, den Militärdienst zu verweigert, las ich später. Als Begründung nannte er, so überliefern es internationale Medien, dass er nicht auf israelische Soldaten schießen wolle. Damit hatte der junge Ägypter ein Tabu gebrochen, das im Land am Nil nicht angetastet wird – und durch die Revolution eine erschreckende Renaissance erfahren hat: Das Feindbild Israel. Die Poster von Mubarak mit einem Davidstern auf der Stirn waren ein gewohntes Bild von den Protesten auf dem Tahrir, kommentarlos abgedruckt in deutschen Medien.

Die Ägypter haben den Diktator gestürzt, nicht aber die Diktatur. Dieser Satz, der um die Welt ging, stammt aus dem Blogbeitrag, der Maikel Nabil Sanaad zum Verhängnis wurde. Systematisch listet er darin die Vergehen der ägyptischen Armee gegen die Zivilbevölkerung auf, zeigt Bilder von geschundenen Körpern und Videos von Angriffen auf Demonstranten. Es ist der Post, der das sprichwörtliche Fass zum Überlaufen bringt. Wenig später wird Sanaad aus seiner Wohnung gezerrt; seitdem sitzt er im Gefängnis. Zu drei Jahren ist der verurteilt worden, so lang wie kein anderer Blogger. Eigentlich ist Sanaad der erste politische Gefangene der Nachrevolutionsära.

Sanaad vor seiner Verhaftung auf dem Tahrir-Platz.

Seinen Blog haben sie nicht gesperrt, sein Twitterkonto nicht gelöscht. Sie wissen, dass die verlassenen Seiten kein Mahnmal zu drohen werden wie bei anderen Bloggern. Sein letzter Tweet stammt vom 27. März und ist mit einem kurzen persönlichen Eintrag in seinem Blog verlinkt. Für einen, der sich öffentlich als Atheist gibt, der sich zu Israel bekennt und seinem Land den Militärdienst verweigert, ist in der ägyptischen Gesellschaft kein Platz.

Wochen nach meinem Besuch in Ägypten erscheint eine Reportage im ZEIT-Magazin. Eine junge Autorin hat es geschafft, Maikel Nabil Sanaad im Gefängnis zu besuchen. Mit mehreren Stangen Zigaretten zur Bestechung dringt sie zusammen mit einer Freundin Sanaads in das Gefängnis ein. Das Bild, das sie von ihm zeichnet ist bedrückend. Sanaad redet ununterbrochen – nie ist sicher, wann die Wärter den Besuch unerwartet beenden werden. Er lechzt nach jeder Information von draußen. Es ist Ende August, kurz bevor Sanaad aufhört zu essen – um dagegen aufzubegehren, dass Zivilisten wie er vor Militärgerichte gestellt werden.

Mittlerweile ist der 47. Tag von Maikel Nabil Sanaads Hungerstreik, so denn die spärlichen Informationen stimmen, die aus Ägypten in die internationalen Medien dringen. Angeblich verweigert Sanaad schon seit einigen Tagen das Trinken. Am vergangenen Dienstag, als sein Berufungsverfahren vor dem Militärgericht C28 begann, sei er so schwach gewesen, dass er nicht mehr selbst laufen konnte, berichten Medien. Seine Nieren begännen zu versagen.

Seitdem gibt es keine Nachricht mehr von Maikel Nabil Sanaad. Nicht auf Facebook, nicht auf Twitter, nicht auf Blogs. Einer, höchstens zwei Tweets zu seinem Schicksal laufen am Tag über den Ticker. Das revolutionäre Ägypten und diejenigen, die das Netz zu ihrer Waffe gegen Unterdrückung und Schreckensherrschaft erklärt haben, schweigen, während Sanaad um sein Leben und gegen die neue Diktatur in Ägypten kämpft. Warum? Weil die ägyptische Revolution anscheinend an einem Scheideweg angelangt ist. Das Land „in transition“ bekennt Farbe, inwieweit ein Wandel zum freiheitlichen Denken, zu Toleranz von Andersdenkenden möglich ist. Es sind beileibe keine schönen Farben.

2 Kommentare:

  1. Hallo,

    es gibt einen Blog bei blogspot, unter dem Briefe, die Maikel Nabil aus dem Gefängnis geschrieben hat, veröffentlicht werden (in arabisch und englisch):

    http://maikel-nabil-in-jail.blogspot.com

    Der letzte Eintrag ist vom 8.10.2011

    Ich verfolge ebenfalls, was gerade mit Maikel Nabil, Sahar Maher und in Ägypten geschieht und schreibe darüber in meinem Blog:

    http://www.dschudschu.blogspot.com

    Danke für deinen Bericht.
    Viele Grüße,
    Daniela

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  2. Danke für deinen Kommentar, Daniela. Die Öffentlichkeit scheint seit gestern ja wieder in Gang zu kommen. Ich lese viele Tweets und Text, und sogar ein deutscher Menschenrechtskommissar hat sich schon geäußert. Jener hier: http://www.markus-loening.de/Markus-Loening/www.markus-loening.de.html

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