abseitiges

2012/01/08

Tanz auf den Gräbern

Disko statt Demo – die junge Generation im Libanon lässt das ehemalige „Paris des Orients“ wieder aufleben. Dabei gibt es hier nicht weniger Probleme als in Athen oder Tel Aviv.

Das B018: Die Decke des Clubs öffnet sich wie ein Sargdeckel.
Foto: Bernard Khoury

Man munkelt, das „B018“ sei auf einem Massengrab errichtet. Vielleicht stimmt das. Immerhin ist bekannt, dass sich am Standort des Clubs einst ein Flüchtlingslager befand und eine örtliche Miliz im Januar 1976 ein Massaker unter den palästinensischen und kurdischen Bewohnern anrichtete. Vielleicht ist es auch nur ein geschickter PR-Trick, der das „B018“ zum bekanntesten der Stadt und zu Libanons Aushängeschild in der internationalen Clubszene gemacht hat. Wo immer die Wahrheit liegt – die Beiruter lieben das „B018“ für dessen makabere Aufmachung: Die grabsteinähnlichen Stühle, die sich zur Tanzfläche umklappen lassen, die sargförmigen Tische und das Dach, das sich mitten in der Nacht komplett öffnet und den Sternenhimmel freigibt.

Es ist Freitagnacht, eigentlich schon Samstagmorgen. Das „B018“ ist Haitham Herzallahs letzte Station in dieser Nacht. Nach dem „White“ auf dem Dach einer alten Lagerhalle, das mehr als 1000 Menschen fasst, und einigen kleinen Clubs im Ausgehviertel Gemmayzeh steuert Herzallah wie immer das „B018“ an. Dort sind alle Strahler erloschen, das Partyvolk tanzt im Sternenlicht, in das sich erste Vorboten der Morgendämmerung mischen. Schnelle Elektrobeats wummern in die Nacht – das „B018“ ist bekannt für seinen Untergrundelektro.

Die Skybar – einer der vielen Dachclubs Beiruts.
Foto: Skybar

„Das Feiern gehört zu unserer Identität“, sagt Herzallah. Jede Nacht ist der 37-Jährige unterwegs, schläft ein oder zwei Stunden und gibt tagsüber den Touristenführer. Er gehört zu der Generation junger Libanesen, die bis zu ihrer Volljährigkeit nur Krieg kannten – den Bürgerkrieg, der von 1975 bis 1990 das Land zerrüttete. Tagsüber arbeiten, nachts stürzen sie sich in Beiruts berüchtigtes Nachtleben als müssten sie die verlorene Jugend wieder aufholen.

Beirut in Zeiten der arabischen Revolutionen. Während rund ums Mittelmeer die Menschen aufbegehren, Diktatoren zu Fall bringen und gegen soziale Missstände protestieren, bleibt es im Libanon still. Im Paris des Orients, wie man die Stadt wegen ihrer europäischen Fassaden und der hier herrschenden Meinungsfreiheit einst nannte, geht die junge Generation nicht auf die Straße, sondern in die Clubs. Vieles hier erinnert einen an das feierwütige Tel Aviv, bevor Mitte Juli die Menschen dort ihre politikfremde Blase verließen und die Protestzelte aufschlugen.

Existenzgründen in Beirut:
Aus Notting Hill zurück zu Mama


Herzallah hat Archäologie und Tourismus studiert, für die UN in London gearbeitet. Er hat es gemacht wie viele in seinem Alter: ein bisschen Karriere im Ausland und dann zurück nach Beirut. Vor drei Monaten hat er sein Apartment im Londoner Stadtteil Notting Hill verlassen, für das er 2500 Pfund Miete im Monat bezahlt hat und wohnt nun wieder bei seinen Eltern. Im Libanon ist es nicht leicht, eine eigene Existenz aufzubauen.

„Das Feiern gehört zu unserer Identität“: Haitham Herzallah
Foto: Ann-Kathrin Seidel

Freie Wohnungen gäbe es zur Genüge. Entlang der Mittelmeerpromenade wird gerade ein neues Viertel aufgeschüttet – Eigentum für 15000 US-Dollar pro Quadratmeter. Herzallahs Vater hatte hier in der Nähe mal eine Unterwäscheboutique, bevor ihn Solidere, die Baufirma des ehemaligen Premiers Rafik Hariri, aus der Gegend vertrieb. „Sie haben ihm gesagt: ‚Entweder du renovierst für Zigtausend Dollar, oder du musst hier raus’“, sagt Herzallah. Ein „Monaco des Ostens“ hat Hariri über den quirligen Souks errichtet, ein Feriendomizil für reiche Saudis und Qatarer, das sich kaum ein Libanese leisten kann.

„Man braucht doppelt so viel zum Leben wie man verdienen kann“, sagt Sari Husseini, der an einer der 42 Universitäten Business Administration studiert. Bildung hat für die Libanesen einen hohen Stellenwert, die Alphabetisierungsrate des Landes liegt bei fast 90 Prozent. Aber auch sie hat ihren Preis: Ein Trimester kostet Husseini 14000 US-Dollar. Das ist eine Größenordnung wie an einer amerikanischen Universität, nur dass laut Weltbank das Pro-Kopf-Einkommen im Libanon bei 9000 US-Dollar im Jahr liegt, in den USA hingegen bei gut 47000.

„Natürlich haben meine Eltern dafür einen Kredit aufgenommen. Jeder Libanese macht das“, sagt der 23-Jährige. Die Verschuldung des Landes beträgt knapp 134 Prozent des Bruttoinlandprodukts, das sind fast 80 Milliarden US-Dollar. Damit liegt der Libanon weltweit auf Platz fünf, direkt hinter Griechenland.

Partykultur und Religiosität: Politischer Widerstand
findet im Libanon kaum statt.
Foto: Ann-Kathrin Seidel

Nicht anders als in der restlichen arabischen Welt ist auch im Libanon ein Großteil der jungen Generation von wirtschaftlichen Chancen abgeschnitten. Nicht anders als in Israel sind die Kosten für Wohnraum und Lebensmittel in den letzten Jahren stark gestiegen. Exklusion der Jugend nennen Wissenschaftler dieses Phänomen, das auch in Griechenland und Spanien Proteste entfacht hat.

In Libyen werden libanesische Freiheitslieder gesungen,
im Libanon gar keine.


„Es gibt keinen Grund, der stark genug wäre, um die Libanesen zu vereinen und auf die Straße zu bringen“, sagt Gilbert Doumit, Regierungsberater, Menschenrechtsaktivist und Mitbegründer einer Initiative für Jugend-Empowerment. Gerade war Doumit einige Wochen in Bengasi, um die libyschen Rebellen in Sachen Telekommunikationsinfrastruktur zu beraten. „In Libyen und Ägypten ist unser Fachwissen nun gefragt. Als einzige Demokratie in der arabischen Welt sehen sie die Libanesen als Experten aus den eigenen Reihen“, sagt er. Sogar die Freiheitslieder, die er auf den Straßen Bengasis gehört habe, seien hauptsächlich libanesische gewesen, erzählt Doumit.

Die libanesische Gesellschaft hingegen ist seit dem Bürgerkrieg religiös zersplittert. Gräben klaffen zwischen den 17 verschiedenen Ethnien, die im Libanon leben. Das Land hat keine zivile Eheschließung. Christen und Muslime können einander nicht heiraten. Und auch das politische System ist darauf ausgelegt, das brüchige Gleichgewicht zwischen den Religionen zu wahren: Jeweils 50 Prozent der Abgeordneten im Parlament sind Christen und Muslime. Ihr Präsident ist immer ein Christ, der Premier ein Sunnit und der Parlamentspräsident ein Schiit.

Schrein auf der Gemmayzeh-Street: Das christliche Ausgehviertel
grenzte einst an die Todeszone zwischen Ost- und West-Beirut.

Foto: Ann-Kathrin Seidel

Aber nicht nur der Bürgerkrieg, auch die fast dreißigjährige Besatzung des Landes durch die syrische Armee habe tiefe Narben in der libanesischen Identität hinterlassen, erklärt Doumit. Die politischen Parteien des Landes sind in zwei Lager gespalten: die Unterstützer und die Gegner der Syrer. „In jedem Gespräch spielen all diese Konflikte eine Rolle. Sie überlagern die Kommunikation zwischen den Menschen“, sagt Doumit. „Natürlich gibt es auch hier Proteste, aber immer protestiert der eine gegen den anderen.“

Christen, Muslime – wenn sie sich nachts in den Clubs begegnen, spielt Religion keine Rolle. Augenscheinlich zumindest. Haitham Herzallah stammt aus einer muslimischen Familie. Während des Ramadans lehnt er freundlich angebotene Drinks ab. „Ich erzähle nicht, dass ich faste. Die meisten wissen nicht einmal, dass ich Moslem bin“, sagt er. „Ich will nicht, dass sie es komisch aufnehmen.“

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