abseitiges

2012/02/16

»Das Unausgesprochene aussprechen«

Vordergründig hat Ghada Abdel Aal ein humoriges Buch über den ägyptischen Heiratsmarkt geschrieben. Zwischen den Zeilen stellt sie die prüde Gesellschaft an den Pranger, in der Frauen beinahe täglich sexuell belästigt werden.

„Sexuelle Belästigung ist eine Epidemie in Ägypten“:
Autorin Ghada Abdel Aal

Es ist eine sonderbare Parade, die in „Ich will heiraten! Partnersuche auf ägyptisch“, dem Bestseller der Ägypterin Ghada Abdel Aal, die elterliche Wohnung von Protagonistin Bride bevölkert. Da ist der erste Heiratskandidat, ein Physiotherapeut, der sich Dr. Sami nennt und nur an den Fernseher will, um das Spiel seines Lieblingsfußballklubs Samalik zu verfolgen. Der zweite hat es auf Brides Geldbörse abgesehen, während sich der dritte, den ihre Tante Hidscharija angeschleppt hat, als segelohriger Dummschwätzer entpuppt. Zehn Männer verirren sich bis zum Ende des gut 200 Seiten starken Buches in das besagte Wohnzimmer, einer skurriler als der andere.

Ursprünglich hatte die junge Apothekerin nur vor, ihrem Frust über die holprige Suche nach einem Ehemann in einem Blog Luft zu machen. Ihre spitzen Bemerkungen aber trafen den Nerv ihrer Generation. Nach ein paar Monaten lasen bereits mehr als eine halbe Millionen Menschen ihren Blog „Wanna-b-a-bride“. Dann wurde der bekannte Shorouk-Verlag auf die junge Frau aufmerksam. Die Erstauflage, die 2008 erschien, war innerhalb von 20 Tagen ausverkauft. 2010 lief die dazugehörige Fernsehserie zur besten Sendezeit, im Abendprogramm des Fastenmonats Ramadan.

Mit ihren lustigen Worten beschreibt die 32-jährige Autorin die bedrückende Realität ihrer Generation. Außerhalb von Studium und Beruf führen junge Frauen und Männer ein voneinander abgeschirmtes Leben. Beziehungen vor der Heirat sind tabu. Zukünftige Eheleute lernen sich bei arrangierten Treffen in den Wohnzimmern ihrer Eltern kennen. Entspricht der Anwärter den Erwartungen des Brautvaters, wird nach zwei oder drei Wochen die Verlobung bekannt gegeben – mit Liebe oder gar freier Wahl hat das nichts zu tun. „Salonheirat nennt sich das und ist vor allem in der Mittelschicht, aus der ich komme, verbreitet“, erklärt Abdel Aal.
Die Öffentlichkeit ist die Sphäre des Manns,
90 Prozent der Belästigungen passieren hier.

Acht von zehn Frauen wurden schon einmal belästigt

Die Trennung der Lebenswelten von Mann und Frau schafft einen unüberwindbaren Graben in der ägyptischen Gesellschaft. Dem Mann gehört die Öffentlichkeit, der Frau das Private. Wissenschaftler gehen davon aus, dass diese Spaltung ein Grund für die Übergriffe ist, die Männer täglich auf ägyptische Frauen ausüben. „Sexuelle Belästigung ist eine Epidemie in Ägypten. Es gibt keinen Tag, an dem ich nicht bedrängt werde, zumindest verbal“, sagt Abdel Aal. In einer Umfrage des Egyptian Center for Women’s Rights (ECWR) vor vier Jahren gaben 83 Prozent der Ägypterinnen an, dass sie sexuell belästigt werden, 46 Prozent davon täglich. Die Bandbreite der Belästigung erstreckt sich dabei von eindeutigen Lockrufen – wegen der Laute „catcalling“ genannt – über Entblößungen, Berührungen, telefonischer Belästigung bis hin zu Verfolgungen und Stalking.

Der Umfrage zufolge gibt fast zwei Drittel der ägyptischen Männer zu, Frauen sexuell zu bedrängen. Bekannt wird davon oft wenig, nur ein Bruchteil der Frauen zeigt ihre Peiniger an, denn auch in den Reihen von Polizei und Armee ist frauenfeindliches Verhalten weit verbreitet. Schlagzeile machte ein Fall aus dem vorigen Jahr: Amnesty International berichtete von 17 Frauen, die im März auf dem Tahrir-Platz für Geschlechtergleichheit demonstrierten und die, nachdem sie von Soldaten festgenommen worden waren, sogenannte Jungfrauentests über sich ergehen lassen mussten. Wer ihn nicht „bestand“, sollte wegen Prostitution angezeigt werden.

Übergriffe auf dem Tahrir-Platz sind keine Seltenheit. Neun von zehn Belästigungen finden auf offener Straße statt. „Frauen werden zu Opfern, wenn sie sich im öffentlichen Raum bewegen, also dort, wo sie gesellschaftlich nicht hingehören“, sagt Sozialwissenschaftlerin Claudia Froböse, die selbst eineinhalb Jahre in Kairo gelebt und 2011 eine Studie über die Ursachen sexueller Belästigung in Ägypten veröffentlicht hat. Froböse hat in ihrer Arbeit Foren analysiert, in denen sich Aktivistinnen austauschen, wie man den Übergriffen begegnen könnte. „Das Erstaunliche war: Sie diskutierten darüber, wie man sich verhalten sollte, wenn einem nachgepfiffen wird oder einem ein Auto folgt. Aber darum, was man gegen das Verhalten an sich tun kann, ging es nicht“, fasst sie zusammen. Es ging um Reaktion, nicht Aktion.

Schuld ist die Frau
Das passt ins Bild, das in Ägypten zum Thema sexuelle Belästigungen vorherrscht – und welches Frauen von sich selbst haben. „Fast Dreiviertel der belästigten Frauen sind verschleiert, dennoch sehen die Mehrheit der Männer und auch der Frauen die Schuld bei der Frau“, sagt die Sozialwissenschaftlerin. Genauer gesagt sind knapp 80 Prozent der jungen Männer in der großen Bevölkerungsgruppe zwischen 15 und 29 Jahren und 73 Prozent der gleichaltrigen Frauen davon überzeugt, dass anzügliches Verhalten und unkeusche Kleidung die Übergriffe provozieren. Das hat eine Umfrage der Nichtregierungsorganisation Population Council im Jahr 2010 ergeben.

Die Kehrseite der Befreiung: Besonders viele Übergriffe
passieren in Kairos Innenstadt rund um den Tahrir-Platz.

„Die Frauen sind sich selbst die schlimmsten Feinde – wie sie über sich denken, und welche Hürden sie sich in den Weg legen“, sagt Autorin Abdel Aal. Es ist ein Thema, bei dem die sonst so humorvolle Autorin zur Aktivistin wird. „Wir müssen die Mentalität der Frauen verändern. Wenn sie überzeugt sind, dass sie ein besseres Leben verdienen, kann sie nichts mehr aufhalten.“ Vielleicht ist es diese Aussage, auf das sich ihr Buch kondensieren lässt. Lebt euer Leben, arbeitet und macht keine faulen Kompromisse, ruft Abdel Aal den Frauen zu. Sie ist eine der mutigen Frauen, die sich mit ihren Meinungen in die Öffentlichkeit trauen.

Seit der Revolution ist es für Frauen leichter, sich zu organisieren. Sowohl Suzanne Mubarak als auch die Frau des vorigen Präsidenten Jehan al-Sadat hatten Frauenbünde immer wieder zerschmettert und die Aktivistinnen ins Exil getrieben. Seit Mubaraks Sturz treten die Frauen aus dem Hintergrund. Internet und soziale Medien machen es möglich. „Dort sind die Plattformen, auf denen wir uns eine Stimme geben können, auf denen wir das Unausgesprochene aussprechen“, sagt Abdel Aal. Eines der bekanntesten Projekte ist Harassmap.com. Frauen schicken SMS oder E-Mails an die Organisation und berichten von Belästigungen. Die Aktivistinnen vermerken die Orte auf einer digitalen Landkarte – auf der Kairos Stadtzentrum rund um den Tahrir-Platz wieder einmal besonders negativ hervorsticht.

Ob sie niemals Angst hatte, seit sie in die Öffentlichkeit gegangen ist? Abdel Aal winkt ab. Die Sanktionen dafür, soziale Tabus zu brechen, sehen anders aus, kommen schleichend. Seit ihr Buch erschienen ist, traue sich kein Mann mehr an sie heran, sagt sie. Mit 25 Jahren nicht verheiratet zu sein, ist in Ägypten eine schlimme Sache. Abdel Aal ist 32, und kein Bräutigam ist in Sicht. „Ich habe die Grenze zur alten Jungfer schon vor Jahren überschritten“, sagt die Autorin lachend und wird dann noch einmal ernst: „Gut, dass meine Mutter das nicht mehr mitgekriegt hat. Sie ist 2003 gestorben.“ Zum 30. Geburtstag habe sie demonstrativ ihren Blog mit virtuellen Luftballons dekoriert, dem Mitleid aller zum Trotz, erzählt Abdel Aal. „Aber das ganze hat auch was Gutes: Immerhin werden die Looser so rausgefiltert.“

Fotos und Text: copyright Ann-Kathrin Seidel

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